Alsensund
Per Sjørndahl

Emons Verlag


ISBN 978-3-7408-2033-6

Als in Harrislee an der Grenze zu Dänemark die Leiche einer Medizinstudentin
gefunden wird, übernimmt Kommissar Sånbergen zusammen
mit der örtlichen Kommissarin Wiedmann die Ermittlungen.
Wenig später sind zwei weitere junge Frauen tot, und alles
deutet auf einen Serientäter hin – bis Sånbergen ein altes Tagebuch
entdeckt. Es führt ihn dreißig Jahre zurück zu einem geheimnisumwobenen
Haus und einem verstörenden Familiengeheimnis

Der dänische Kommissar Marven Sånbergen ist nicht begeistert:
Sein Chef schickt ihn über die Grenze nach Harrislee, um zusammen
mit der örtlichen Kollegin Hannah Wiedmann den Mord an einer
dänischen Medizinstudentin zu untersuchen. Widerwillig bricht
Sånbergen nach Deutschland auf, das ihm seit seiner Kindheit
fremd geworden ist. Und nicht nur das. Er mag die Küste nicht. Das
Meer ist ihm nicht geheuer. Sånbergen ermittelt nüchtern, mit genauer
Beobachtungsgabe, pragmatisch in der Analyse. Kontakte
knüpft er nur dort, wo sie nötig sind, und vermeidet sie, wo sie Unordnung
in sein Leben bringen könnten. Bald deutet alles auf einen
Serientäter hin, aber Sånbergen geht noch einer anderen Spur
nach. Er ermittelt im Umfeld eines Pharmakonzerns, und als er ein
altes Tagebuch entdeckt, erfährt er darin von einer Geschichte um
ein altes Waisenhaus am Alsensund. Sånbergen – selbst eine Waise
– kommt der Wahrheit näher und gerät damit in einen arglistigen
Rachefeldzug, in dem auch ihm selbst eine Rolle zukommt.
Autor Per Sjørndahl ist in Dänemark aufgewachsen und überzeugt
durch ein authentisches Bild der Grenzregion zwischen Syddanmark
und Flensburg. Der Ton ist ernsthaft, manchmal melancholisch,
die Story ruhig erzählt - durchbrochen von hintergründigem
Humor. Mit fortschreitender Handlung zieht das Tempo an, eingeflochtene
Actionszenen führen zu einem dramatischen, filmreifen
Finale. Der Fall ist komplex, die Charaktere vielschichtig, und wenn
man als Leser:in denkt, auf der richtigen Spur zu sein, macht der
Krimi eine Kehrtwende und liefert einen Twist. »Alsensund« ist anspruchsvolle
Unterhaltung mit Tiefgang, inspiriert von wahren Hintergründen
rund um Medikamentenversuche an Schutzbedürftigen.
Per Sjørndahl

Per Sjørndahl

Per Sjørndahl, Jahrgang 1965, verbrachte seine frühe Kindheit an der deutsch-dänischen Ostsee und wuchs anschließend in seiner Geburtsstadt Berlin auf. Als Jugendlicher entdeckte er seine Leidenschaft für Musik und gründete eine Rockband. Heute betreibt er eine osteopathische Praxis und nimmt europaweit Engagements als Dozent und als Therapeut im Leistungssportbereich an.

Fragen der SYNDIKATS-Redaktion an Per Sjørndahl

Wo schreibst du am liebsten?

Ich brauche Ruhe, um meine Gedanken einfangen zu können, am liebsten in der Natur, die beruhigt mich.

Dein Sehnsuchtsort?

Irgendwo am Wasser, wenn sich die Sonne auf der glatten Oberfläche spiegelt.

Hast du einen Lieblingskrimi?

Schatten des Windes, wenn es denn ein Krimi ist, ansonsten gern ältere, klassische Krimis - Maigret, Wallander, aber ich mag auch die Leichtigkeit von Bannalecs Dupin.

Wie bist du zum Schreiben gekommen?

Das war etwas merkwürdig. Und überraschend. Kreativ war ich schon immer, ich mag Rockmusik, meistens wache ich morgens mit einer Songidee im Kopf auf. Irgendwann waren es Ideen zu Figuren oder Geschichten, die ich aber erstmal beiseitegeschoben habe, ich habe mich ja nicht als Schriftsteller gesehen. Aber diese Ideen wurden immer mehr, obwohl ich das gar nicht wollte, und ich hatte erst wieder Ruhe in meinem Kopf, wenn ich sie auf Post-its geschrieben hatte. Um Ordnung zu schaffen, musste ich die irgendwann in den Laptop übertragen, und mit der Zeit hat sich in mir eine Vision entwickelt, das Gefühl, dass tatsächlich etwas Gutes dabei rauskommen könnte.

Was war denn die ursprüngliche Idee zu deinem Krimi?

Was mich interessiert hat, war die Idee einer großen Heldenreise des Protagonisten, die Verwandlung eines sanftmütigen Wesens in einen rachsüchtigen Engel, nicht aus einem eigenen Entschluss heraus, sondern von außen durch verhängnisvolle Umstände bestimmt, was zur Frage nach Schuld und Opfer führt. Ich habe versucht, diese Entwicklung glaubhaft darzustellen, nicht einfach nur zu sagen, dass das Elternhaus kaputt war. Da muss ja was passieren, dass man seine Menschlichkeit verliert.

Leseprobe

ALSENSUND

Prolog

23. April 1995, irgendwo in Dänemark

Nummer sieben. Die Tür zu meinem Zimmer. Der Mann öffnet sie und sagt, ich soll wieder reingehen. Ich setze mich an den Tisch, und der Mann verriegelt die Tür von außen. Ich höre, wie sich seine Schritte entfernen. Zwei Dielen knarren. Zuerst die mit dem Astloch gleich vor meiner Tür. Dann die vor der Tür mit der Nummer sechs. Ich kenne die Dielen. Ich bin schon lange hier.
Kapitel 1

Tag 1, Donnerstag, 22. Juni 2023

Harrislee an der deutsch-dänischen Grenze, im Morgengrauen

»Bei Fuß, Portos!« Mit einem kräftigen Ruck zog Marlene an der Leine. Sie gab sich alle Mühe, ihrer Stimme die nötige Strenge zu verleihen, aber der Hund wollte einfach nicht hören. Was war nur los mit ihm? Er verhielt sich, als ob noch ein anderer Hund in der Nähe wäre, aber weit und breit war keiner zu sehen. Portos wand sich wie ein Aal, versuchte, den Kopf aus dem Halsband zu ziehen – und mit einem Mal kam er frei. Laut kläffend rannte der kleine Beagle querfeldein durch die Marsch in Richtung eines Erlenbruchs und verschwand im hohen Gras.

 »Portos!« Marlene eilte ihm hinterher, blieb vor dem Erlenbruch stehen und spähte durch die Baumreihen. Eine Schneise führte zu einer Lichtung.

Marlene zögerte. Diese Gegend kannte sie nicht.

Mit einem Mal kam es ihr merkwürdig ruhig vor, ihr Hund gab keinen Laut mehr. »Portos?«, rief sie in den Bruchwald hinein, nun etwas leiser als zuvor, als fürchtete sie, gehört zu werden. Aus einem Holunderstrauch stiegen zwei Meisen auf.

Unsicher betrat sie die Lichtung, Schritt für Schritt, und dann sah sie Portos. Die Schnauze dicht über dem Boden, tapste er über das Gras. Erleichtert atmete Marlene auf und lief auf ihn zu – doch erstarrte im nächsten Moment. Nur wenige Meter von ihrem Hund entfernt saß eine Frau in einem weißen Kleid gegen einen dichten Weidenstrauch gelehnt und rührte sich nicht.

Marlene erschrak. Sie betrachtete die Frau, ihre blasse Haut, das aufgedunsene Gesicht. Ihr Blick wirkte starr, aber irgendetwas gab Marlene das Gefühl, dass sie noch leben würde. Die entspannte Art, wie sie dort saß, so als würde sie ganz in Gedanken die Umgebung betrachten. Marlene machte einen Schritt auf die Frau zu. »Hallo?«

 Sie reagierte nicht. Sie blinzelte nicht. Sie atmete nicht.

Sie ist tot, dachte Marlene, und mit der Gewissheit überkam sie der Gedanke, jemand könnte dieser Frau etwas angetan haben. Womöglich lauerte er sogar noch hier zwischen den Bäumen und beobachtete nun sie selbst, unschlüssig, ob er sie gehen lassen oder ihr den Rückweg versperren sollte.

Die Vorstellung machte Marlene Angst. Sie wagte es kaum, sich umzublicken. Ich muss hier weg, dachte sie nur, packte den kleinen Beagle am Nacken und nahm ihn auf. Auf der Stelle machte sie kehrt, begann zu rennen und hielt erst wieder an, als sie ihr Elternhaus erreichte.

Aufgeregt berichtete sie ihrer Mutter von dem grauenvollen Fund, kurz darauf auch dem diensthabenden Beamten der Polizeistation Harrislee. Wieder zu Hause, zog sie sich mit ihrem Hund in ihr Zimmer zurück, ermahnte ihn, das nächste Mal besser zu folgen, und fragte sich erneut, warum er so aufgeregt angeschlagen hatte. Aber dann wollte sie nicht mehr länger an dieses entsetzliche Ereignis denken und ließ den Gedanken fallen. Sie schloss das Fenster, kauerte sich auf ihrem Bett zusammen und schwor sich, nie wieder einen Fuß in die Marsch zu setzen.