Im Sternbild der Hydra
Marc Friedrich
KBV-Verlag

Marc Friedrich
Marc Friedrich, geboren 1982 in Essen, hat nach dem Studium der Kommunikationswissenschaft und der Anglistik mehrere Jahre als Redakteur gearbeitet, bevor er in die Unternehmenskommunikation gewechselt ist. Seine Krimis werden beim KBV-Verlag veröffentlicht, seine Wissenschaftsbücher erscheinen bei Springer Gabler. Als passionierter Nerd und Millennial liebt und lebt er die technologischen und popkulturellen Umwälzungen, die die Jahrtausendwende mit sich brachte. Er lebt mit seiner Frau und seinen Töchtern im Ruhrgebiet.Fragen der SYNDIKATS-Redaktion an Marc Friedrich
Wann schreibst du am liebsten?
Ich bewundere Menschen, die frühmorgens aufstehen und zur Mittagszeit ihre Arbeit schon (größtenteils) erledigt haben. Allerdings finde ich mich da nicht wieder, was das Schreiben betrifft. Am kreativsten bin ich, desto später der Tag und desto dunkler der Himmel wird. Manchmal muss ich mich zum Schlafengehen zwingen. Am nächsten Morgen tritt häufig ein Phänomen auf, was sicherlich einige AutorInnen nachempfinden können: Manche Ideen, von deren Genialität ich im nächtlichen Tipprausch noch so überzeugt war, dass ich kaum einschlafen konnte, gefallen mir plötzlich nicht mehr. Dann gehe ich vor wie bei Aschenputtel mit den Linsen: „Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen.“
Welcher Krimi hat dich zuletzt begeistert?
Ich fand „64“ von Hideo Yokoyama zuletzt großartig. Das Buch ist unheimlich gut recherchiert. Was es aber hervorhebt ist, dass es auf mehreren Ebenen brilliert: Neben der Kriminalhandlung seziert und demaskiert Yokoyama das japanische Presse-und-Polizei-System. Das ist ein Konzept, was ich in meinem Roman „Im Sternbild der Hydra“ auch anwende: Denn mein Buch ist gleichzeitig Krimi wie Coming-of-Age-Geschichte plus eine Menge Retrocharme aus dem Jahr 2001.
Dein Sehnsuchtsort?
Weit, weit entfernt und bin noch niemals dort gewesen: Japan. In vielerlei Hinsicht ist dies eines der faszinierendsten Länder und eine der faszinierendsten Kulturen der Welt. Eines Tages werde ich das bestimmt mal machen … allerdings muss ich mich dafür meinem größten Widersacher stellen: einem Flugzeug.
Dein Lieblingsgetränk?
Für unzählige Menschen (und bestimmt auch Syndikats-Kolleginnen und -Kollegen) viel schockierender ist die Antwort auf ein Getränk, was ich überhaupt nicht mag: Ich trinke niemals Kaffee.
Deine persönlich meist gehasste Frage?
Wie hoch ist die Auflage und wie viele wurden schon verkauft?
Leseprobe:
Kapitel 9 – Tötungsdelikt
„Tötungsdelikt: Das hat Rolf Ihnen wortwörtlich gesagt?“ Hubert Hermanns musterte Polly intensiv, seine offene Handfläche schwebte in der Luft, verkrampft durch das Gewicht einer unsichtbaren Kugel. „Oder ist vielleicht Unfall mit Todesfolge, mutmaßlicher Tötungsdelikt oder eine andere Relativierung gefallen? Wir müssen bei solchen Dingen akribisch sein.“
Polly vergewisserte sich in ihren Notizen: „Man gehe von einem Tötungsdelikt aus.“ Sie klammerte sich mit beiden Händen an ihren Block. Gemeinsam mit drei Redakteuren hatte sie einen Halbkreis um den Schreibtisch des Chefredakteurs gebildet. Gabi hatte die Beine übereinandergeschlagen und nagte an ihrem Eis am Stiel. Ludger, studierter Jurist auf Abwegen, der seine Erfüllung als Der Leseranwalt gefunden hatte – ursprünglich eine monatliche Rubrik, die erfolgsbedingt erst auf zweiwöchentlich, dann auf täglich ausgeweitet worden ist – war nur körperlich anwesend. Das kühlende Handtuch auf seinem Kopf hinterließ feuchte Stellen auf der Schulterpartie seines Hemdes. Dafür war Niklas mittendrin. Er hatte seinen Kuli zu einem Schwert gespitzt. Polly war es unangenehm im Mittelpunkt von Leuten zu stehen, die sich mit der Materie viel besser auskannten.
„Ich hatte Ihnen gestern gesagt, dass wir nicht über Suizide berichten. Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, auf der Pressestelle anzurufen und in der Sache nachzuhaken? Hat Rolf sich nicht gewundert, dass Sie derart dezidiert Fragen gestellt haben und über Details Bescheid wussten?“ Hermanns hatte die Hände auf seiner Weste gefaltet, ein geduldiger Bestatter, der einen Auftrag annahm.
„Ich habe einen Tipp bekommen. Mein Informant hat mich zuhause angerufen“, gab Polly sich diplomatisch. Sie wusste nicht, ob es das richtige Wort war oder ob es von Agenten in Spionage-Filmen stammte.
Niklas starrte Hermanns an. Hermanns hob die Augenbrauen. „Der da wäre?“
„Das kann ich nicht sagen.“ Das hatte Polly definitiv aus den Filmen. Schließlich könnte jeder in der Runde ein Maulwurf sein.
„Das ist lächerlich. Wenn das so weitergeht, berufen sich bald Praktikanten auf Informantenschutz“, wetterte Niklas. Er schüttelte den Kopf und zappelte. Sein Zöpfchen wippte. Es musste Starkstrom sein, der in diesem Moment durch seine Adern floss. „Wir sind deine Auftraggeber. Bist du dir dessen bewusst?“ Er sang in den höchsten Tönen.
Hermanns mäßigte Niklas mit einer seichten Handbewegung wie ein Dirigent. Dann wandte er sich wieder an Polly: „Wie vertrauenswürdig schätzen Sie Ihren Informanten ein?“
„Absolut vertrauenswürdig. An allen Tipps, die ich von ihm bekommen habe, ist was dran. Die Tür hatte offen gestanden, was bei Selbstmorden total unüblich sei. Normalerweise schließen Leute von innen ab. Der Katzenmann hatte sich mit einem Kabel erhängt – das sehe nicht nach langer Planung, sondern nach einer spontanen Entscheidung aus. Sonst hätte er ein Seil gekauft oder sich etwas ähnlich Robustes besorgt. Außerdem sollte ich nach einem Abschiedsbrief fragen. Der Polizeipressesprecher bestätigte mir, dass man keinen gefunden hat …“