Stillesblau
Norderney-Krimi
Tomas Cramer
CW Niemeyer / www.niemeyer-buch.de
Taschenbuch
Norderney im Sommer. Es könnte so schön sein …
Als Privatermittler Frank Gerdes widerwillig einen Ermittlungsauftrag im Rotlichtmilieu annimmt, steht seine Hilfsbereitschaft unter keinem guten Stern. Recherchen führen ihn zu einer angesehenen Hoteliers-Familie mit unheilvollen Geheimnissen. Er taucht ab in einen Sumpf aus Menschenhandel und Prostitution.
Gerdes muss eine verschwundene junge Frau finden und wird auf einmal mit Indizien konfrontiert, die seine eigene Vergangenheit betreffen. Plötzlich erscheint auch der frühe Tod seiner Eltern in einem völlig anderen Licht!
Was zunächst wie ein Routinejob aussieht, entwickelt sich zum Albtraum und führt ihn an die Grenze des Erträglichen. Wird es Frank Gerdes gelingen, eine für Norderney heraufziehende Katastrophe zu verhindern?

Tomas Cramer
Tomas Cramer, 1967 geboren und aufgewachsen im niedersächsischen Cloppenburg, ist ausgebildeter Bankkaufmann. Er studierte Theologie, absolvierte Seminare zur Trauerbegleitung und besuchte diverse Literatur-Workshops. Es folgten Aufnahme in die Autorendatenbank Niedersachsens und Mitgliedschaft im 'Syndikat', der Autorenvereinigung für deutschsprachige Kriminalliteratur.
Veröffentlichung mehrerer Jugend- und Sachbücher, Romane und Bildbände, zudem liegen Publikationen zu theologischen Themen vor. Der Roman 'Trauerwelten' (Isensee) ist Fachbuch des Palliativnetzes, das Buch 'Das verwunschene Museum' (Isensee) ist Schullektüre.
Freier Autor für SAGA Egmont/dotbooks.
Musikproduktionen für YouTube: northsea:groove | northsea:loops&sounds [EDM].
Tomas Cramer ist kirchlich-ökumenisch engagiert, verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und lebt seit 1991 in der Mittelweser-Region (Landkreis Nienburg/Weser).
Weitere Infos auf facebook und Instagram.
Fragen der SYNDIKATS-Redaktion an Tomas Cramer
Wo schreibst du am liebsten?
Zu Hause in meinem Büro.
Welcher ist dein Lieblingskrimi?
Alles von Hakan Nesser.
Dein Lieblingskollege/Lieblingskollegin?
Hakan Nesser.
Warum bist du im SYNDIKAT?
Um die Förderung des Krimis im deutschen Sprachraum zu unterstützen.
Dein Lieblingswort?
Barmherzigkeit.
Dein Sehnsuchtsort?
Das neue Jerusalem (Offb 21).
Dein Lieblingsgetränk?
Wasser.
Wo findest du Ruhe?
Vermutlich im Grab.
Wo Aufregung?
Im Leben.
Deine persönlich meist gehasste Frage?
»Deine persönlich meist gehasste Frage?«
Rezension
„Tomas Cramer ist ein Autor mit einem Gespür für Bilder. In präzisen erzählerischen Nahaufnahmen konzentriert er sich auf die Charaktere und deren Beziehungen. Die unkonventionellen Ermittlungsmethoden des Frank Gerdes, angereichert mit Humor, pointierten Dialogen und gut dosiertem Nervenkitzel werden zum Lesevergnügen. Fast immer geht es um verletzte Eitelkeiten, Schuld oder andere Dinge, die tief in der Seele schlummern.”
Heide Wirtz-Naujoks, Mediengruppe KreiszeitungLeseprobe
Im zwölften Stock gab es ebenfalls nichts Ungewöhnliches. Jede Tür hätte zu einer normalen Wohnung gehören können, nur diese waren mit seltsamen Motiven versehen. Mich interessierte die Meerjungfrau, und ich fand die dazugehörige Tür in einem schmalen Gang auf der linken Seite. Wieder hielt ich mein Smartphone an das scharfe Rotlicht des Scanners, unmittelbar darauf klickte ein Mechanismus, der die Tür entriegelte. Ich betrat den dunklen Raum dahinter.Meine Augen mussten sich an die Dunkelheit gewöhnen. Die Tür ließ ich für etwas Licht aus dem Flur offen, aber als es plötzlich erlosch, zog ich die Tür ganz zu. Der großzügige Raum war nicht komplett dunkel, es gab Schwarzlicht und ein schwach fluoreszierendes Grün, das erahnen ließ, wo das Zimmer ungefähr endete. Schemenhaft waren ein paar Möbel auszumachen, eine Liege, zwei Sessel, so etwas in der Art. Hier herrschte ein nicht ganz schmutziger, nicht ganz sauberer Geruch, der solchen Zimmern anhaftet, wenn zu wenig gelüftet wird. Auch vernahm ich ein Gurgeln, das von einem unbeleuchteten Aquarium oder Wasserbecken kam.
Ich trat näher, das Licht wurde heller – was für ein pfiffiger Effekt! Eine schwarze, polygonale Marmorwanne direkt vor mir geriet in den Lichtkegel eines heller werdenden Spotlichts, während der Rest des Zimmers dunkel blieb. Beeindruckend!
In der Wanne lag sie ausgestreckt vor mir, die Meerjungfrau namens Angelina, Typ Botticelli-Venus mit heller Haut und langem, rotem Haar. Die glitzernde Monoschwimmflosse lag über dem Beckenrand drapiert, als wollte sie nach unserem Date direkt ins Meer plumpsen, um nach Florenz zurückzuschwimmen.
Doch hier und jetzt war sie zweifellos eine schöne Frau. Die langen Arme seitwärts ausgestreckt wie Tentakeln, Beine bis zum Hals, vollkommener Körper. Die Beschreibung ‚sexy‘ wäre untertrieben gewesen. Sie hatte eine Stupsnase, der Mund war glänzend rot wie ein Liebesapfel von der Kirmes, ihr Blick unschuldig.
Sie lag still da in der Muschel aus schwarzem Marmor und lächelte zauberhaft. Es war so bezaubernd, dass es mich fast lähmte. Ich traute mich nicht, sie anzusprechen, aber genau darum war ich hergekommen. Zunächst ein vorsichtiges Räuspern, dann: „Wir waren verabredet. Für Liana wollte ich den USB-Stick …“
Angelina unterbrach mich: „Du bist also mein Datenleck?“
„Leck?“, sagte ich. „Also, ich …“
„Pssst!“, machte sie.
Ich machte keinen Mucks.
„Warte mal, Süßer“, flüsterte sie. „Lass mich nachdenken.“ Auf einmal hob wieder ein kleines Lächeln ihre Mundwinkel an. Angelinas langer Arm glitt ins Wasser und tauchte neben ihrer Hüfte wieder auf. Einer ihrer schlanken Finger lockte mich ins Planschbecken. (hauchend) „Pronto! Zieh dich aus und komm rein“, hauchte sie mit italienischem Akzent.
Mir blieb die Luft weg. „Wie? Ich wollte doch nur den Stick …“
„Ganz ruhig Blonder! Siehst du den Rauchmelder da oben?“
Ich schaute zur Decke. Bei diesem Licht war nichts zu erkennen. Ich sagte aber: „Kann schon sein, dass …“
Sie unterbrach mich wieder. „Da drin befindet sich eine Mini-Kamera. Wenn du nicht zu mir ins Wasser steigst, werden sie Verdacht schöpfen. Noch nie hat ein Mann meine Einladung ausgeschlagen. Capisci?“ Angelinas Stimme war fordernd, fast unverschämt. Aber mit ihren Augen war es anders, die schimmerten sinnlich und warm. Sie öffnete ihren Mund und zwischen ihren Lippen glänzte etwas. Es war die Reflexion von Schwarzlicht auf Kunststoff. Nun erkannte ich es: Auf ihrer Zunge lag ein kleiner USB-Stick mit einer Schutzkappe. Das hätte ein grandioses Werbefoto für Datenspeicher werden können, ich ließ das Handy aber in der Hosentasche. Nun wurde es kompliziert und ich hatte keine Ersatzunterhose dabei. Ich wog Scham gegen Nutzen ab. Es war heutzutage schwierig, geeignetes Personal zu finden, also musste ich da selber ran. Ich entschied, mich nackig zu machen, um es hinter mich zu bringen und sagte, während ich die Hüllen fallen ließ: „Also gut, aber nicht, dass das zur fixen Idee wird!“
Etwas unbeholfen kletterte ich über den Rand ins Becken. Der Begriff Quereinsteiger bekam eine völlig neue Bedeutung. Das Wasser war nicht so warm wie der Tag heute, darum recht erfrischend. Angelina machte einen kurzen, schnalzenden Laut mit der Zunge, ihre Augen fraßen mich. Als der Mini-Stick wieder zwischen ihren Lippen erschien, fragte ich mich, wie die Übergabe denn nun vonstatten gehen sollte, denn der durfte natürlich nicht nass werden!
Die Meerjungfrau verfolgte offenbar einen ausgeklügelten Plan. Wie von Zauberhand war sie plötzlich nicht mehr so tief im Pool und ihre Brüste lagen auf der Wasseroberfläche wie Felsen in den skandinavischen Schären. „Komm her!“, befahl sie hauchend. Mit beiden Händen zeigte sie auf ihren weichen Bauch. „Ich schiebe dir den Stick in den Mund und keiner sieht was.“
„Ähm, hat die Kamera ein Mikro?“, fragte ich zaghaft, um auf eine mögliche Sicherheitslücke hinzuweisen.
„Für wie bescheuert hältst du mich? Dann würde ich doch nicht so quatschen.“
Da war was dran. Es gibt Augenblicke, die kann man sich aus Draht nicht nachbiegen. Wie ein hungriges Reptil glitt ich bäuchlings auf sie zu. Erst jetzt merkte ich, dass Angelina die Schwimmflosse gar nicht anhatte. Ich rutschte über ihren Bauch und kam ihren Kirschlippen immer näher. Sehr nah. Näher ging wirklich nicht! Sie schob mir das Teil von der Größe eines Daumennagels in den Mund und hauchte „Prego!“ Ich erwiderte nichts, aus Furcht, das Ding zu verschlucken. Wie ein zahnloser Hai zog ich mich auf meine Seite des Beckens zurück, noch bevor Angelina auf die Idee kam, Nemo zu finden. Ich stieg aus dem Wasser, zog mich flink an und ließ den Stick in eine meiner Buddelhosentaschen verschwinden.
Plötzlich ein lautes, dreckiges Lachen, es kam aus dem Tümpel der Venus. Angelina lachte übertrieben, gleichzeitig drückte sie einen Knopf auf der Fernbedienung, der das Wasser zum Sprudeln brachte. Badeschaum blubberte hoch, die Bläschen umgaben ihre Brustwarzen wie aufziehendes Schneegestöber einen Bergzipfel.
Ich hatte keine Lust, mir dieses Naturschauspiel noch länger anzusehen, sondern wollte zur Tür, aber daraus wurde nichts. Vom Flur kam ein Hämmern und Rufen, jemand wollte herein, aber die Tür ließ sich nicht ohne weiteres öffnen.
Angelina machte ein angespanntes Gesicht, während sie die Fernbedienung ein zweites Mal drückte. Die volle Zimmerbeleuchtung sprang an, es war auf einmal taghell. Nur mit Mühe kam Angelina aus dem Wasser, sie schob ihren Körper umständlich über den Beckenrand. Ihr Mund zitterte und die Augen blickten wild umher. Panisch rief sie: „Avanti, avanti! Raus aus der Tür da. Schnell!“ Sie zeigte mit geradem Finger zur großen Glasfront, mit einem Balkon dahinter. „Avanti!“, schrie sie hart und rauchig, ein Bariton, mit dem man Autos entlacken konnte. „Wenn sie dich erwischen, kann ich nichts mehr für dich tun.“ Ihre Stimme war plötzlich auf einen schrillen Sopran geklettert, vielleicht trällerte sie im wahren Leben Verdi-Opern. Die Venus stolperte barfuß im Raum umher und zog die Glastür auf. Der Sound des Summertime-Festivals wehte herein, und von der anderen Zimmerseite der Sound brachialer Gewalt gegen die krachende Tür. Drei Gestalten aus dem Kraftclub, alle mit Fleischbadekappe und in dunkle Bomberjacken gezwängt, stürmten nacheinander in den Raum. Neugierig ließen sie ihre Blicke schweifen, blieben aber vor allem an Angelina haften. Das war die Gelegenheit, um auf den Balkon zu entwischen.
„Dreckskerl!“, rief Angelina hinter mir her.
So fühlte ich mich nach dem Bad eigentlich nicht. Vermutlich war das nicht mal ernst gemeint, denn ihre Stimme war drei Dezibel lauter geworden. Das war Teil ihrer Show, um den drei Kerlen vom Sicherheitsdienst etwas vorzumachen und von sich selbst abzulenken.
Eine Stimme, die nicht Angelina gehörte, sagte: „Da ist ja der Arsch!“, und das galt mir.
Ohne runter zu schauen, kletterte ich über die Brüstung und umrundete die Trennwand zwischen zwei Balkonen. Ein letzter, kurzer Blick zurück in das hell erleuchtete Meerjungfrauenzimmer und hinauf zur Zimmerdecke. Da gab es keinen Rauchmelder und somit auch keine Kamera! Als die drei Meister Proper nacheinander durch die Schiebetür stürmten, sprang ich auf den Nachbarbalkon hinab. Weiter kletterte ich über die schmale Feuerleiter hinauf aufs Dach.