Tannenglühen
Bitterböse Weihnachten
Petra K. Gungl
Gmeiner Verlag, Messkirch
397 Seiten
SCHMUTZIGES GELD Diese Weihnachten will Franziska Ferstl ihre Strafverteidigerkarriere an den Nagel hängen, doch dann wird in der Kanzlei einer der Partner erdrosselt. Weil ihr bester Freund als Hauptverdächtiger in U-Haft genommen wird, wirft Franziska nochmal ihr ganzes Können in die Waagschale und jagt den Mörder. Dabei stößt sie auf dubiose Offshore-Geschäfte, die Russen-Mafia und Liebesaffären.Viele hatten Grund, Siegfried Fürstenstein zu töten und je näher Franziska der Lösung kommt, desto gefährlicher wird es für sie ...

© ©Markus Schiller
Petra K. Gungl
Petra K. Gungl ist gebürtige Wienerin, mit einer leidenschaftlichen Liebe zu Tee und England. Beruflich setzte sich zuerst die Juristerei gegen Kunst & Germanistik durch und die promovierte Juristin arbeitete mehrere Jahre im medizinischen Bereich.
Von Jugend an dem Verfassen von Texten verfallen, schrieb Gungl während einer beruflichen Auszeit ihren ersten Roman und gleich darauf den nächsten und nächsten ... weil ein Leben ohne Plotten & Dichten einfach undenkbar ist.
Nach Familie und Schreiben bestimmt Wushu den Lebensstil der Autorin: Ihr Training im Shaolin-Tempel Austria besteht aus Kung Fu, Taijiquan, Qi Gong & Meditation – und jeder Menge Muskelkater!
Aktuell arbeitet Gungl freiberuflich als Autorin.
Empfehlung der Woche
Tannenglühen ist die Empfehlung der Woche der SYNDIKATs-Redaktion vom 24. Dezember 2017.
Kritikerstimme
Man spürt an vielen Stellen, dass die Autorin, die selbst promovierte Juristin ist, weiß, wovon sie schreibt, auch bringt sie so manche versteckte Kritik am Rechtswesen unter. Dabei blitzt aber stets ein feiner Humor durch, oftmals verpackt in kleine Ausflüge in den österreichischen Sprachductus. Ich fühlte mich das gesamte Buch über gleichmäßig spannend und geistreich unterhalten. Deshalb wünsche ich dem Buch viele, viele Leser an Neujahr, an Pfingsten, an heißen Sommertagen, egal wann, Hauptsache nicht nur an Weihnachten!
Heinoko, Lovelybooks
Drei Fragen an Petra K. Gungl
Wann begann Ihre kriminelle Laufbahn?
Es roch nach Reinigungsmittel und muffigen Aktenpapier – in den Gängen des Straflandesgerichts wandelte vor vielen, vielen Jahren eine blutjunge Rechtspraktikantin, die kaum glauben konnte, dass die Realität alle bislang gelesenen Kriminalgeschichten übertraf. Sie wollte selbst darüber schreiben – und das nicht unbedingt in "Urteils"-Form.
Wie viele Verbrechen gehen auf Ihr Konto?
Tannenglühen ist mein dritter Krimi – und das neue Ermittlerduo, die beiden Strafverteidiger Franziska Ferstl & Kurt Thesch, wollen unbedingt noch weitere Fälle lösen.
Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen?
Das Krimi-Genre ist auch ein Stück Zeitgeschichte. Hier werden über die Jahre aktuelle gesellschaftspolitische Probleme aufgegriffen und in spannende Geschichten verpackt. Besonders klar wurde mir das zuletzt, als ich wieder mal zu Dorothy L. Sayers Gaudy Night griff. Mit Kriminalliteratur kann man ein breites Publikum ansprechen und zum Nachdenken anregen – da gibt es doch keine Gegenargumente, oder?
Leseprobe
SAMIRA
Niemand mag den Montagmorgen.
Ganz besonders nicht mit einem Brummschädel vom Weihnachtspunsch und abgefrorenen Fingern, die kaum den Schlüssel spüren, der in den schmalen Schlitz des Schlosses gesteckt werden soll.
Ihr Blick fällt auf das Messingschild, auf dem in schnörkeliger Schrift »Frank, Fürstenstein & Ferstl, Rechtsanwälte und Verteidiger in Strafsachen« steht. Wieder ein Jahr vorbei, ohne in ihrem Lebensplan weitergekommen zu sein. Samira seufzt. Wenn man in Wien Samira Dinic heißt, glauben alle, man ist Putzfrau oder Friseurin. Samira jedoch hat etwas aus sich gemacht – hat die Sekretärinnenakademie besucht, einen guten Job an Land gezogen und endlich auch Aussichten auf eine gute Heirat. Wobei, das mit der Heirat ist zum Problem geworden. Egal. Das neue Jahr wird ihr Neubeginn. Keine Spielchen mehr, dafür Nägel mit goldenen Köpfen machen.
Licht an, die Bühne ist bereit für das alltägliche Theaterspiel der Justiz. Mantel an den Haken, Mütze und Handschuhe zum Trocknen auf den Heizkörper. Er ist brennheiß. Im ganzen Vorraum kocht die Luft. Muffig, mit einem leichten Anflug von Fäkalien. Die Tür zur Toilette war geschlossen, und die Porzellanmuschel ist sauber, trotzdem betätigt Samira zur Sicherheit die Spülung. Diese Hitze! Der Thermostat ist auf 30 Grad Celsius eingestellt; kopfschüttelnd tippt sie eine 20 ein, klappt das Kästchen zu. Es fehlt an Sauerstoff, Schweiß klebt die Bluse unter ihren Achseln fest. Sie geht ins Sekretariat, lässt Winterluft hereinströmen, atmet auf. Radio an, gerade noch die Acht-Uhr-Nachrichten erwischt. Es bleibt kalt. Zeit für Kaffee.
In der Teeküche ist die Spüle randvoll mit Geschirr. Also haben die Anwälte am Wochenende gearbeitet und wie üblich den Geschirrspüler nicht gefunden. Sie füllt den Tank der Espressomaschine mit frischem Wasser und lässt Kaffeebohnen durch das Mahlwerk rasseln. Nebenher wird der Geschirrspüler ausgeräumt. Im Kühlschrank finden sich zwei Milchpackungen. Einem Café Latte steht nichts im Weg, dieser Montag ist gerettet.
Mit dem Kaffeeglas in der Hand macht Samira ihre Runde durch die Büros ihrer Chefs, öffnet die Fenster, nimmt unterwegs eine schmutzige Kaffeetasse mit und geht damit in die Teeküche. Bis zum Erscheinen des ersten Anwalts um 9.30 Uhr hat sie noch reichlich Zeit.
»Der Weihnachtsbaum also«, spricht sie mit sich selbst. Siegfried Fürstenstein hat zwar versprochen, das alljährliche Baumschmücken zu übernehmen, doch in den fünf Jahren ihrer Tätigkeit für die Anwaltskanzlei hat am Ende immer sie selbst den Baum aufgeputzt.
Vorraum oder Besprechungszimmer sind die möglichen Standorte für die Tanne, und dieses Jahr hat sich wegen der extrem ausladenden Zweige das Besprechungszimmer durchgesetzt. Kein Wunder, der Raum ist riesengroß, größer als Samiras eigene Wohnung. Bei Bedarf übernachten die Anwälte hier. Es gibt zwei Schlafsofas, einen Flachbildschirm, Barbereich und einen ovalen Besprechungstisch. Ein dicker Wollteppich liegt auf dem Eichenparkett wie eine verirrte Wolke. Sogar ein eigenes Bad steht zur Verfügung. Und immer noch reichlich Platz für einen Dreimeterbaum.
Samira nimmt einen Schluck Kaffee und stößt die Tür auf. Beißender Gestank, durch die hohe Temperatur im Raum verstärkt, raubt ihr den Atem – eine Mischung aus Ammoniak, Schwefel und Buttersäure – haben sich die Tore der Hölle geöffnet, just in der heiligsten Zeit des Jahres? Wenn, dann treffsicher in einer Rechtsanwaltskanzlei, verzieht Samira angewidert das Gesicht und hält sich den Arm vor Nase und Mund, hastet auf ein Fenster zu, um es aufzureißen. Erleichterung setzt ein, als die frische Luft ins Zimmer strömt.
Im Nacken fühlt sie ein Befremden, ein Prickeln und Nagen; sie möchte sich umwenden, scheut jedoch davor zurück. Das dämonische Gefühl entwickelt ein Eigenleben, bläht sich wie eine Kröte auf, droht zu platzen. Irgendetwas stimmt heute ganz und gar nicht, und ohne es zu wissen, ist sie dem Epizentrum der Ungeheuerlichkeit ganz nahe gekommen, das weiß irgendeine geheime Instanz in ihrem Kopf. Samiras Härchen an Armen und Beinen richten sich auf, sträuben sich gegen die Vorahnung, die jede Zelle ihres Körpers erfasst. Das Kaffeeglas in der Hand zittert in der eisigen Luft, die ihre Frisur zerzaust. Aus dem Radio im Sekretariat schmettert »Last Christmas« herüber, ganz normal, ganz alltäglich. Alles nur Einbildung, Fantasterei, redet sie sich gut zu. Samira dreht sich um, sieht zuerst die silberne Spitze der Tanne, folgt mit dem Blick der Lichterkette, die nur eine Hälfte der Zweige bedeckt.
Die untersten Äste berühren Männerbeine, das Gesicht ist im zentimetertiefen Wollteppich verborgen, die Arme sind angewinkelt, die Hände zum Hals ausgerichtet. Der Hals ... Samiras Brust hebt sich, saugt Luft in die Lungen, atmet gegen das Schwarz an, das in sie eindringen will. Diesen dunkelblonden Haarschopf kennt sie, der weiße Hemdkragen, das Muttermal hinter dem Ohrläppchen ... Sie hat es tausendmal geküsst, weil es ihn stets erregte und zu neuen Taten anstachelte. Jetzt zieht ein dünnes Kabel eine tannengrüne Trennlinie rund um den Hals, und Splitter von Glaslämpchen schneiden in die lila Haut. Darm und Blase haben ihre Dienste längst eingestellt und sich entleert. Marionettenfäden zwingen sie näherzukommen. Die Beine bewegen sich mechanisch. Sie sieht den Körper auf der weißen Wolke. Kein Arzt der Welt kann ihm mehr helfen – sie weiß es. Ihre Hände sind taub, das Glas entgleitet, verspritzt seinen Inhalt über Leiche und Teppich.