Töchter des Todes


ISBN 978-3-9457-8245-3

Klappentext:

Für Aylin Hodžić läuft alles super: Die junge Frau

mit bosnischen Wurzeln hat gerade Abitur gemacht,

will Journalistin werden und ist frisch verliebt. Dann

jedoch gerät alles ins Wanken: Ihre ältere Schwester

Semina verschleiert sich und verschwindet. Dabei

spielte Religion im Leben der beiden Schwestern nie

eine Rolle. Jetzt steht jedoch die ganze Familie in den

(sozialen) Medien am Pranger.

Kurz darauf detoniert in ihrer Heimatstadt Taufingen

eine Bombe. Für die Medien und die Öffentlichkeit

ist der Fall klar, und eine brutale Hetzjagd gegen die

Familie beginnt. Aber alle Ermittlungsspuren führen

in die Irre – oder bringen Aylin in tödliche Gefahr.

Ulrike Blatters Thriller erzählt von aktuellen politi-

schen Themen wie zum Beispiel IS-Rückkehrern in

Taufingen, einer fiktiven süddeutschen Stadt. Sie

gibt keine einfachen Antworten, sondern lässt uns zu

vielschichtigen Einsichten kommen.

Blendend recherchiert, packend und kraftvoll ge-

schrieben!

Töchter des Todes ist die Empfehlung der Woche der SYNDIKATs-Redaktion vom 05. August 2019.

Interview mit der Autorin Ulrike Blatter

Wann begann Ihre kriminelle Laufbahn?
Blutige Tatorte und konkrete Ermittlungsarbeit begegneten mir das erste Mal 1992, als ich meine Arbeit als Rechtsmedizinerin in Zürich begann. Ich war aber schon viel früher auf der dunklen Seite unterwegs; vor Kurzem fand ich einen Zettel mit meinem ersten Gedicht: „Tod einer Möhre“ – da war ich sieben und mein Schicksal vorgezeichnet!

Wie viele Verbrechen gehen auf Ihr Konto?
Ich gebe zu, da habe ich mittlerweile ein wenig den Überblick verloren. Wenn man erst einmal entdeckt hat, wie elegant sich zahlreiche Probleme des Lebens auf illegale Art und Weise lösen lassen, dann ....
Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen?
Privat bin ich vollkommen harmlos. Und beim Morden bin ich Profi. Also niemals irgendwelche Spuren. Da bin ich pingelig. (Habe ich jetzt etwa was Falsches gesagt??!!)

Wie ist das Buch entstanden?
Die Fälle, die denen im Roman Töchter des Todes zugrunde liegen, wurden sorgfältig recherchiert. 2015 begleitete ich virtuell einen jungen Mann, der zum IS ging und habe damals zu Angehörigen anderer Kämpfer und Kämpferinnen Kontakt aufgenommen. Außerdem habe ich mich mit jungen Menschen ausgetauscht, die auf der Kippe standen, sich zu radikalisieren – darunter waren junge Muslime aber auch Menschen, die rechtsnational denken.
Wegen meines politischen und ehrenamtlichen Engagements für Menschen aus dem Auslandwurde ich in den letzten Jahren wiederholt beschimpft, beleidigt und bedroht.
Nachdem der Titel 2016 von verschiedenen Verlagen als „zu brisant“ abgelehnt wurde, erhielt ich 2018 dafür ein Arbeitsstipendium und nutzte es, um die Handlung zu überarbeiten und zu aktualisieren.

Warum dieses Genre?
Ich habe lange überlegt, ob dies ein Thriller ist – viele Kriterien stimmen: eine rasante Handlung, ein vielschichtiger Kriminalfall und eine Heldin, die in Lebensgefahr gerät. Allerdings ist der Aufbau untypisch und geht stärker in die Tiefe als bei einem Thriller. Deshalb haben der Verlag und ich uns entschieden das Buch als „Roman“ zu vermarkten – aber ich denke, man merkt auf jeder Seite, dass ich in der Spannungsliteratur zuhause bin.

Leseprobe:

Kapitel 18: Samstag 1. Juni – Tag 12

Aylin
Jordans Lippen bewegten sich. Offenbar schrie er irgendetwas, aber ich hörte nur ein schrilles Pfeifen. Es klang ähnlich wie nach dieser Partynacht, als ich stundenlang vor den Riesenboxen abgedanct hatte und danach drei Tage lang den Tinnitus nicht loswurde. Ich steckte den kleinen Finger in den Gehörgang, hielt den Kopf schräg und schüttelte ihn heftig. Jordans Stimme kam irgendwie durch, aber ich verstand nichts. Benommen drehte ich mich um mich selbst. Da schnappte er sich einfach meinen Arm und begann an mir herumzuzerren.
„Was tust du?“, fragte ich und kapierte immer noch nichts.
„Weg hier!“, schrie mir Jordan ins Ohr, mitten in das schmerzhafte Pfeifen hinein, und seine Stimme blubberte, als wären meine Gehörgänge voller Wasser. Er zog mich in Richtung Stadtpark.
Das ist also eine Massenpanik, dachte ich und stand immer noch völlig neben mir. Die Gesichter der Menschen, die mit uns rannten waren verzerrt, Augen und Münder weit aufgerissen, die Hände ausgestreckt, als jagten sie etwas Unsichtbarem hinterher, das sie unbedingt festhalten müssten. Aha, dachte ich. So sieht also Panik aus. Seltsamerweise war ich total ruhig. Ich hatte absolut keine Angst. Da war nur dieses lästige Pfeifen in meinem Kopf. Meine Beine bewegten sich wie bei einem Roboter. Und sonst … Leere. Kälte. Kein fassbares Gefühl, außer vielleicht eine Spur von Verwunderung. Das gibt’s doch gar nicht, dachte ich.
Und dann machte ich einen Riesenfehler: Ich drehte mich um. Mit einem Schlag spürte ich mich wieder. Denn ich sah den kleinen pausbäckigen Jungen aus der Folkloregruppe. Allein. Mitten auf dem Radweg, der in den Stadtpark führte. Den niedlichen Filzhut hatte er verloren, und die pechschwarzen Locken standen ihm wirr vom Kopf ab. Noch wenige Schritte, dann wäre ich in Sicherheit. Jordan drängte mich unnachgiebig vorwärts. Aber ich sah wie in Zeitlupe, dass eine Menschenmenge auf das Kind zuraste. Und im Bruchteil einer Sekunde überschwemmten mich das Geschrei und der Geruch von Angstschweiß. In meinem Inneren ballte sich ein ungeheurer Schmerz, der mich zerreißen wollte. Ich blieb stehen und krümmte mich, da mir auf einmal der Atem wegblieb.
„Weiter!“, brüllte Jordan mit einer vollkommen fremden Stimme.
Irgendwie schaffte ich es meine Hand zu heben und zeigte auf das Kind. Mein Zeigefinger blieb in der Luft hängen, als gehöre er nicht zu meinem Körper. Ich war unfähig mich zu bewegen.